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Mobile Akademie Warschau: „Geister, Gespenster, Phantome und die Orte an denen sie leben“

[ Zweiteilige interdisziplinäre Sommerakademie in Warschau ]
Die Mobile Akademie ist eine temporäre Lerneinheit, die immer wieder ihren Standort verlagert und den Teilnehmern ein interdisziplinäres Intensivprogramm zu je einem Themenschwerpunkt anbietet. Internationale Künstler erarbeiten mit den Teilnehmern Projekte, Studien, Recherchen und Präsentationen in verschiedenen Kursen, begleitet von einer Theoriestrecke und Exkursionen. Angeboten werden fünf Kurse in den Bereichen Schauspiel, Regie, Performance, Choreographie, Tanz, Fotografie, Konzeptkunst und Kunsttheorie.

Geister, Gespenster, Phantome und die Orte, an denen sie leben
Die Mobile Akademie Warschau setzt das Gespenstische in Architektur, Politik, Kunst, Theorie und in unserem Alltag in den internationalen Vergleich. Man kann an sich selbst und seiner Umgebung zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Grade zum Beispiel einer sozialen „Verspensterung“ feststellen: Vielleicht wurde man einst von gespenstischen Kräften heimgesucht, die vom Nicht-Ort der Utopie kamen, und war selbst Gespenst einer utopischen kommunistischen Gesellschaft; vielleicht ist man heute ein Irgendwer-Irgendwo im Reich der Tatsachen, so eine Art Nicht-Ich, was ja fast schon eine Voraussetzung und ökonomische Erfordernis für Erfolg zu sein scheint.
Gespenster, das sind Wesen oder Ideen, nicht lebendig, nicht tot, noch nicht geboren oder unfähig zu sterben, weder anwesend noch abwesend – sie haben die Fähigkeit, die Wirklichkeit in die Schwebe zu versetzen und sie ihrer Materie und Beweisbarkeit, zumindest für den Moment ihres Erscheinens, zu berauben.
Die Mobile Akademie sucht in Warschau Geisterorte und Untote und spürt den gesellschaftlichen Verhältnissen nach, die sie hervorbrachten. Sie sammelt gespenstisches Wissen und gibt dieses weiter.


Bereits im Oktober 2005 ist die Mobile Akademie mit einer Vorveranstaltung in Warschau: Der Schwarzmarkt für nützlichen Wissen und Nichtwissen I ist eine Installation, bei der hundert Experten für Beratungsgespräche zum Thema „Unsichtbares, unbekanntes und gespenstisches Wissen“ zur Verfügung stehen. Es entsteht eine live betriebene Geisterbibliothek, die durch ihr Publikum zum Leben erweckt wird.


Prof. Dr. Maria Janion, Literaturwissenschaftliches Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau (Instytut Badań Literackich PAN Warszawa) ist Ehrenpräsidentin der Mobilen Akademie Warschau.



Der Spuk geht weiter.
Von der Fliegenden Universität zur Mobilen Akademie
von Stefanie Peter

Erinnert sich noch jemand an Professor Abronsius? Er war der tragische Held in Roman Polanskis Film „Tanz der Vampire“ (The fearless vampire killers) von 1967. Abronsius war bei seinen Kollegen an der Universität Königsberg schlicht als der „alte Spinner“ verschrien. Als Scharlatan, der den verbürgten Methoden der seriösen Wissenschaften den Rücken gekehrt hatte, um seine Forschungen auf das Feld des ganz und gar Unwahrscheinlichen auszudehnen, zeichnete er sich dadurch aus, daß er Gespenster sehen konnte, wo welche waren. Er wusste nämlich über das Wesen von Vampiren besser Bescheid als alle anderen, und hatte ein weitreichendes Wissen über die Effekte bekannter Gegenstände wie Kruzifixe und Spiegel auf die Daseinsform von Untoten angehäuft. Dass die Vampirologie nicht ins Curriculum der kanonischen Wissenschaften gehörte, war ihm egal, denn echter Wissensdurst hält sich an kein Vorlesungsverzeichnis und an keine akademische Konvention.

Wenn also Professor Abronsius die Wirkungsweise einer Knoblauchzehe mit dem ultraschallgestützten Navigationsverhalten von Fledermäusen zusammendachte, machte ihn das zu einem Held des interdisziplinären Forschens. Und zu einem Vertreter jener dissidenten Wissenschaft, die nach Roland Barthes dasjenige Wissen tradiert, das die Gesellschaft eben nicht zur Weitergabe für wert befindet. „Wissenschaft“ ist nämlich laut Barthes „das, was gelehrt wird“ und daraus folgt, dass man einen Doktortitel auf dem Feld der Ästhetik, Psychologie und Soziologie erwerben kann, nicht aber auf dem der Heraldik, Semantik oder Viktimologie. (Roland Barthes, „Das Rauschen der Sprache“, Frankfurt am Main, 2006, S.9.) Durch ihre traditionellen Einteilungen, durch Zuordnungen und Rubrizierungen zwingen Gesellschaften lehr- und lernbares Wissen in ein Korsett, das sich über Ausschließungen definiert und keine Zwischenräume und Transzendenzen erlaubt.

Wenn die Mobile Akademie nun also zu ihrem ersten Auswärtsspiel ausgerechnet in Warschau antritt, sei daran erinnert, dass sie, auch ohne es gewollt oder geplant zu haben, eine Form von Wissensvermittlung aufgreift, die gerade hier auf eine lange Geschichte zurückblickt. Entstanden doch die Fliegenden Universitäten im19. Jahrhundert, als sich Frauen, denen der Zugang zu den Akademien von Staatswegen verwehrt war, in improvisierten Zirkeln organisierten und mit der Physikerin Marie Curie immerhin eine Nobelpreisträgerin hervorbrachten. In den siebziger und achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ließen regimekritische Intellektuelle wie Adam Michnik, Władysław Bartoszewski und Bronisław Geremek diese Tradition in Privatwohnungen wieder aufleben und widersetzten sich damit der staatlichen Repression der Weitergabe nicht ideologiekonformen Wissens. Was hat also die Fliegende Universität mit der Mobilen Akademie gemein? Sie unterläuft die staatstragende Pädagogik, indem sie weder an Curricula, Lehr- und Prüfungsordnungen gebunden ist, noch sich in den traditionellen Universitätsarchitekturen ansiedelt, die in einer spezifischen Organisation des Wissens immer auch eine bestimmte Ordnung der Macht repräsentieren. Wenn sich die Mobile Akademie nun mit Geistern, Gespenstern und Phantomen befasst, nimmt sie das Verpönte ernst und begibt sich auf ungesichertes Terrain. Man muss es dabei so machen wie Professor Abronsius: die Augen öffnen für das ebenso Unglaubliche wie Offensichtliche. Dann kommt man den rastlosen Geistern der vorzeitig Verschiedenen, dem Verdrängten und Verbotenen auf die Spur und stellt fest, dass es überall spukt.
Veranstaltungsort:
Mehrere Orte in Warschau

Veranstaltungszeitraum:
25. August - 10. September 2006

Beteiligte Institution
Teatr Rozmaitości, Warschau
Thema:
Berlin, Warszawa, Metropolen
Projekte zum Thema:
Ensemble Modern beim Festival „Warschauer Herbst“
[ Gastspiel des Ensemble Modern beim Festival für zeitgenössische Musik Warschauer Herbst ]
Invitation
[ Kunstprojekt ]
1,2,3... Avant-Gardes
[ Das Experiment Kunst und Film ]

Künstlerische Leitung
Hannah Hurtzig, Mobile Akademie
Projektleitung
Carolin Hochleichter
Ehrenpräsidentin
Prof. Dr. Maria Janion



Stanislaw Lem im Gespräch mit Paweł Dunin-Wąsowicz
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Das Projekt wird vom Instytut Adama Mickiewicza aus den Mitteln des Kulturministeriums der Republik Polen im Rahmen des Deutsch-Polnischen Jahres 2005/2006 mitfinanziert.