Das Problem der Modernität - Danzigs architektonische Kultur
Jacek Friedrich

Traditionell oder modern? Diese Frage nahm im Zuge des Wiederaufbaus Danzigs nach 1945 eine besonders klare Form an, wurde doch die Rekonstruktion der historischen Altstadt damals äußerst kontrovers diskutiert. Während einige Architekten und Stadtplaner die Chance gekommen sahen, die Rekonstruktion unter den Gesichtspunkten der sozialistischen Vision zu verwirklichen, plädierten andere für die originale Erarbeitung der historischen Formen. Denn die Zerstörung denkmalgeschützter Städte wurde als vorsätzlicher barbarischer Akt der deutschen Besatzer angesehen, der die nationale Identität Polens untergraben sollte. Wie sah sie aus, die Vision der „neuen, anmutigen und glücklichen Stadt“? Und wie präsentiert sich Gdańsk, Danzig, heute?

1945 war Danzig eine vom Krieg zertrümmerte Stadt und ihr Wiederaufbau wurde zu einem selbsternannten Ziel der neuen polnischen Stadtverwaltung. Wiederaufbau - aber in welcher Form? Diese Frage stellte man sich nicht nur in Danzig, sondern auch in Rotterdam, Minsk, Dresden, Coventry, Warschau, Berlin, in den vom Krieg zerstörten europäischen Städten. Jedes Mal wurde sie anders beantwortet. Eines der vielen Dilemmata, vor denen die Planer standen, war die Frage, ob die Stadt wieder so hergestellt werden solle, wie sie vor dem Krieg war, oder ob man die Zerstörungen eher dazu nutzen solle, einen städtischen Organismus zu planen, der modernen Bedürfnissen besser entspricht.

Die Frage „traditionell oder modern“ stellte sich für die zerstörten historischen Stadtkerne als eine besondere Herausforderung. In Polen wurde die Zerstörung denkmalgeschützter Städte als vorsätzlicher, barbarischer Akt der deutschen Besatzer angesehen, mit dem erklärten Ziel, das Fundament der nationalen Identität zu untergraben. Dennoch war der Wiederaufbau in historischen Formen nicht von Anfang an beschlossene Sache, sondern Gegenstand einer breiten Diskussion. Der Kunsthistoriker Michał Walicki brachte die Situation schon 1945 treffend auf den Punkt:

„ Die Gespenster der abgebrannten Städte, die Trümmer Warschaus, Danzigs, Posens und Breslaus rufen die unerbittliche Vision neuer, reizender und glücklicher Städte hervor. Die Frage nach Bau und Wiederaufbau wird zu einem griffigen Motto, das alle packt und von allen verstanden wird: Die Vision gewinnt eine gefühlsmäßige Färbung, die aber dennoch nicht die rationale Bewertung verhindert. […] Das ist eine gemeinsame Angelegenheit nicht nur der Städteplaner, sondern für jeden von uns. Ihre Generalität, die gewiss verständlich und auch tröstend ist, erklärt die Entstehung sehr unterschiedlicher Urteile über den Wiederaufbau.“1

Während der mehrjährigen Diskussion, die dem Wiederaufbau Danzigs vorausging, offenbarten sich weit differenzierte Ansichten. Die Idee der Rekonstruktion des historischen Stadtkerns gewann immer mehr Anhänger, jedoch gab es auch Stimmen, die einen Wiederaufbau in modernen Formen forderten. Besonders radikal trat der Publizist Henryk Tetzlaff auf, der einen vollständigen Umbau des Zentrums in modernistischem Geiste forderte:

„An der Stelle des einstigen Handelszentrums von Danzig bauen wir statt seiner gewundenen, engen Gässchen eine moderne Wohnsiedlung mit breiten, von Sonne und Luft durchströmten Verkehrsarterien und mit Gärten und Grünflächen, die sich breit an den malerischen Kanälen und Gewässern der ehemaligen Innenstadt entlangziehen. Wir schaffen dann ein Vorbild für die moderne Küstenstadt mit einem gesonderten Geschäftsteil und einer separaten Wohnsiedlung. Darin erfüllt sich das moderne Ideal der Lebensbedingungen des arbeitenden Menschen, das in der Losung „Wohne nicht dort, wo du arbeitest“ zum Ausdruck kommt.“2

Diese modernistische Vision unterstreicht der Autor: „Die so wieder aufgebaute Stadt [...] bringt uns mehr Anerkennung in den Augen der Welt, als wenn wir aus dem Schutt ihre zweifelsohne romantischen, zweifelsohne schönen, aber fremden, veralteten [Hervorhebung J.F.] mittelalterlichen Formen wieder erstehen ließen.“3

Denkmäler wollen gepflegt werden

Diese Betrachtung der Vergangenheit Danzigs schien jedoch an Bedeutung zu verlieren. Schon zwei Monate nach dem Beitrag Tetzlaffs fand in Danzig eine nationale Denkmalpflegertagung statt, unter Vorsitz des Generaldenkmalpflegers der Republik Polen, Jan Zachwatowicz. Entschieden sprach man sich für den Wiederaufbau der Innenstadt in historischen Formen aus. Im Oktober 1947 stellte der Wojewodschaftsdenkmalpfleger den Bereich der Rechtstadt und der Speicherinsel unter Denkmalschutz. Zwei Monate später präsentierte im Sejm eine Ausstellung den neuen Nutzungsplan für die Stadt, der die Entstehung eines Verwaltungs- und Handelszentrums in der Innenstadt von Danzig unter Bewahrung des Denkmalcharakters für die historischen Stadtteile vorsah. Jedoch blieb der Standpunkt der Befürworter moderner Lösungen nicht ohne Echo. Im weiteren Verlauf der Diskussion und auch beim Wiederaufbau selbst ist deutlich das Streben nach einer Synthese aus historischer Option und „modernistischen“ Postulaten zu erkennen.

Auch in den erweiterten Richtlinien für einen Raumordnungsplan der historischen Stadtteile Danzigs lassen sich Anhaltspunkte finden, die eine Art Verschmelzung historischer und modernistischer Forderungen fördern. Wieder aufgebaute Häuser sollen trotz der historischen äußeren Formen eine „moderne Planung unter Einsatz moderner Bequemlichkeiten“4 besitzen. Modernistische Prinzipien wurden dahingehend verwirklicht, dass trotz der Bewahrung des historischen Straßennetzes die Bebauung zwischen den Gebäudeblöcken grundsätzlich aufzulockern sei und geräumige Bereiche für Innenhöfe und Grünflächen belassen bleiben. Diese Denkweise führte schon bald zur Entstehung einer ungewöhnlich interessanten Mischform von Vergangenheit und Modernität, zu der sich die wieder aufgebaute Danziger Rechtstadt entwickelte. Wie gestaltete sich die Danziger Architektur in den ersten Jahren nach dem Krieg, als die Entscheidung über den Wiederaufbau der Innenstadt in ihrer historischen Gestalt noch nicht endgültig gefallen war?

Bauen nach Doktrin

Die wichtigsten der damals entstandenen Gebäude wurden in zeitgemäßen, wenn auch nicht radikal modernistischen Formen errichtet. Diese kurzzeitige Dominanz moderner Formen endete 1949, ein Wendepunkt nicht nur in der polnischen Architekturgeschichte hin zum sozialistischen Realismus. In Danzig erhielt dieses Datum eine doppelte Bedeutung: Hinwendung zur realsozialistischen Doktrin und der Beginn des Wiederaufbaus in historischen Formen. Beide Erscheinungen vereinen durchaus einige Eigenschaften, wie etwa einen mehr oder weniger offensichtlichen Antimodernismus. Weder sozialistischer Realismus noch die historische Rekonstruktion verzichteten auf den Begriff der Modernität: Sie passten ihn den eigenen Zwecken an. Während im Falle des sozialistischen Realismus eine gewisse Form der Aneignung des Begriffs „Modernität“ nicht abgesprochen werden konnte, haben wir es im Falle der historischen Rekonstruktion mit einem viel komplexeren Problem zu tun.

Die Repräsentanten des sozialistischen Realismus bedienten sich gerne der Rhetorik der Moderne, die wahre Modernität sahen sie jedoch paradoxerweise in historisierenden architektonischen Formen. Der Begriff selbst wurde dabei - obwohl einer gewissen Neudefinition unterzogen - positiv bewertet. Davon zeugen zumindest die Bedingungen des Wettbewerbs bezüglich der Bebauung des westlichen Fragments der Innenstadt von Danzig, gemäß denen „eine Reihe von Konzeptionen entworfen werden sollten, die Ausdruck einer modernen sozialistischen Stadt sein sollen.“5 Nicht nur der Begriff „Modernität“ unterlag im sozialistischen Realismus einer Umgestaltung, sondern auch die polnische Bautradition, die zu einem Spielball zwischen „Neu“ und „Alt“ wurde. Deutlich belegt dies eine der Aussagen über den genannten Wettbewerb: „Die Entstehung eines modernen, sozialistischen Zentrums ist eine Realität, die man nicht der einstigen Dominante des innerstädtischen Massivs unterordnen kann und darf.“6 Auch der Wettbewerb selbst unterliegt dem realsozialistischen Charakter. Der wiederkehrende Betriff „Modernität“ bezieht sich deutlich auf einen „sozialistischen Inhalt“, um sich der klassischen realsozialistischen Theorie zu bedienen; nicht jedoch auf die Form, die antimodernistische Ideale realisieren sollte.

Wo der sozialistische Mensch wandelt

Auf den ersten Blick mag allein die Idee der Wiederherstellung des gesamten historischen Stadtteils der Danziger Rechtstadt antimodernistisch erscheinen. Doch im Wiederaufbau zeigen sich zahlreiche modernistische Elemente; die wieder aufgebaute Rechtstadt setzt Forderungen nach einem modernen Städtebau geradezu vorbildlich um. Władysław Czerny, der Schöpfer des ersten Wiederaufbauplans von Danzig, bezeichnete das historische Danzig als ein „Urmuster für diese gesellschaftliche Struktur der Siedlung, die wir für die Zukunft suchen; sie ist in dieser Hinsicht viel moderner als der pseudomodernistische Kitsch.“7 Wichtigste Elemente dieser urbanistischen Modernität der wieder aufgebauten Rechtstadt sind die grundsätzliche Offenheit zwischen den Gebäudeblöcken und die Errichtung von Grünflächen. Hinzu kamen Objekte für das gemeinschaftliche Leben der Bewohner wie Krippen oder Kindergärten. Auf die Bebauung schmaler Querstraßen wurde verzichtet, dies diente nicht nur einer Erweiterung innerhalb des Bebauungsplans, sorgte für eine bessere Belüftung des Innenhofbereichs und brachte Licht in die Wohnungen. Wert gelegt wurde auf Häusergruppen mit einem gemeinsamen Treppenhaus, wodurch sie modernistischen Wohnblöcken ähneln.

Kritik und Praxis

Die starke Verbindung des Wiederaufbaus der Rechtstadt mit der modernistischen architektonischen Theorie, besonders mit der der modernen Urbanistik - aus historischer Perspektive etwa selbstverständlich< - erschien vielen zeitgenössischen Kritikern als ungewohnt. Sicherlich waren den Planern diese Diskrepanzen bewusst, jedoch votierten die meisten Beobachter des Wiederaufbaus und die Nutzer der neuen, alten Stadt dafür, dass das traditionelle historische oder vielmehr historisierende Idiom das moderne dominierte.

Dziennik Bałtycki“ 1956 durchgeführten Umfrage „Altes oder neues Danzig?“ Die Zusammenfassung vermerkt: „Aus den meisten Briefen, die bei uns [...] eingegangen sind, ergibt sich eindeutig, dass die Gesellschaft vor allem bequeme Wohnungen, Sonne und Grünflächen fordert und die weitere Rekonstruktion von Bürgerhäusern als Verschwendung gesellschaftlicher Mittel ansieht [...].“8 Auf der einen Seite dominierte die Abkehr von einem sozialistischen Realismus, dessen historisierender Aspekt trotz aller Unterscheidungen insbesondere unter dem propagandistischen Aspekt des Wiederaufbaus zu einer Assoziation mit der historischen Rekonstruktion der Rechtstadt führen musste. Auf der anderen Seite führte die sich parallel vollziehende Umwertung der modernistischen Tradition zum Wandel: Erster wichtiger Impuls für Veränderungen war die im Dezember 1954 von Nikita Chruschtschow geäußerte Kritik an der bisherigen sowjetischen Praxis auf dem Gebiet von Architektur und Bauwesen. Chruschtschow stellte zwar nicht die realsozialistische Doktrin infrage, forderte aber Einsparungen und eine Typisierung, wobei er sich gegen „überflüssige Verzierungen“ aussprach.

Unabhängig jedoch von den sowjetischen Bedingungen ist hier von einem Umbruch zu sprechen, der in kurzer Zeit zu einer offiziellen Akzeptanz der Modernität innerhalb der polnischen Architektur führte. Selbst wenn man die sich schon seit 1955 mehrenden Entwürfe, die mit der Stilistik des sozialistischen Realismus brachen, außer Acht lässt, stellte eine von Józef Cyrankiewicz auf der nationalen Architektentagung in Warschau im März 1956 gehaltene Ansprache ein sichtbares Zeichen dar.

Cyrankiewicz ging mit seiner Kritik an der Architektur des sozialistischen Realismus wesentlich weiter als Chruschtschow, denn er hinterfragte nicht nur den wirtschaftlichen, sondern indirekt auch den ästhetischen Aspekt. So will er wohl seinen Ruf nach Experimenten und Innovationen verstanden wissen - unter dem Einfluss westlicher Vorbilder stehend, die damals grundsätzlich nur modernistischen Charakter haben konnten. Vielleicht bestimmten seine persönlichen Vorlieben eine solch` freie Haltung; Cyrankiewiczs war einer der wenigen Würdenträger der Volksrepublik, die sich für moderne Architektur interessierten. Unumstößlich zeugt diese Aussage von einer breiteren Strömung der sich die Aussage des Ministers für Kunst und Kultur, Włodzimierz Sokorski, anschliesst: „Dem Künstler sollte vollkommen vertraut werden <- das ist das Wichtigste in dieser wandlungsreichen Zeit.“9

In den Jahren 1955 bis 1956 sind auch in Danzig Anzeichen der Kritik am sozialistischen Realismus spürbar und ein wachsendes Interesses an der architektonischen Modernität zu erkennen. Die damalige Tätigkeit Lech Kadłubowskis illustriert die Veränderungen: Der führende Repräsentant des sozialistischen Realismus veröffentlichte Ende 1955 einen Artikel, in dem er sich entschieden, wenn auch unter dem Schutz realsozialistischer Phrasen, für den Modernismus im Sinne des Funktionalismus aussprach: „Wir müssen vollkommen bewusst und mit Verantwortungsgefühl diese drei Begriffe - Funktion, Konstruktion, Form (Hervorhebung im Original) - in unsere tägliche Praxis aufnehmen.“10

Kadłubowski ließ Taten folgen: 1956 entwarf er ein modernes Theatergebäude und zwei Jahre später am gleichen Platz, dem Kohlenmarkt, einen Möbelpavillon. Die Presse schrieb, es enstehe ein „sehr modernes Objekt, ein „Glaspalast“ mit Strahlstreben.“11 Sowohl die öffentliche Präsentation als auch die Berichterstattung illustrieren eine tiefgreifend veränderte Stimmung, die im Laufe von lediglich drei bis vier Jahren entstand.

Dreigestirn Dreistadt

Angesichts dieser Atmosphäre ist verständlich, dass Ende der 1950er-Jahre der Wiederaufbau der historischen Altstadt sowohl die Presse als auch die Danziger selbst nicht mehr bewegte. Spielsteine ihrer Phantasie sind jetzt die Hochhäuser (eines sogar vierzehnstöckig) in der Alten Vorstadt - damals häufig Danzig-Süd genannt -, „bunte“ Wohnblöcke am Radaunekanal, die man „stundenlang anschauen“12 könne, moderne Genossenschaftssiedlungen und schließlich der Bau der „Schulen des 1000. Jahrestags“. Damals ergriff die Faszination für die endlich erlaubte Modernität ganz Polen, eine Erscheinung, die in der polnischen Kunst nach dem politischen Tauwetter. Der Pariser Kunstkritiker Pierre Restany stellte fest: „Die kulturelle Isolation bewirkte eine allgemeine Frustration, von der sich alle so schnell wie möglich befreien wollten, sie wollten Verspätungen wettmachen (...), um um jeden Preis zur Moderne zu gehören. “13 In der von den Häfen Gdynia und Gdańsk geprägten Agglomeration der Dreistadt war die Überwindung der Isolation zwangsläufig besonders intensiv. Es ist sicherlich kein Zufall, dass das erste Jazzfestival in Polen 1956 in Zoppot stattfand und dass in der Dreistadt der polnische Rock geboren wurde, der damals BigBeat genannt wurde. Die Begeisterung für die Moderne ergriff auch die Architektur: In dieser Zeit, also seit dem Ende der fünfziger Jahre, entstand ein wesentlicher Teil der besten Nachkriegsarchitektur in Danzig und Zoppot.

Die modernistische Richtung, die die polnischen Architektur während der Zeit der politischen Entspannung erhielt, wurde bis in die 1980er-Jahre grundsätzlich nicht infrage gestellt. In dieser Hinsicht weicht die Architekturgeschichte in Danzig und Zoppot in den letzten beiden Jahrzehnten der Volksrepublik nicht von der Situation im ganzen Land ab. Hier enstanden in den 1970er-Jahren hauptsächlich Plattenbausiedlungen, doch auch vereinzelte interessante Bauwerke. Bedeuteten die 1980er-Jahre für die gesellschaftliche und politische Entwicklung Danzigs seit der Nachkriegszeit einen Meilenstein, stellten sie vom architektonischen Standpunkt aus einen weniger interessanten Zeitraum dar - offensichtlich der wirtschaftlichen Krise geschuldet.

Nach dem Eisernen Vorhang

Mit den Wendejahren nach 1989 zeigten sich die Vorboten einer grundlegenden Veränderung, die sich erst in der nächsten Dekade vollziehen sollte: Sowohl die architektonische Praxis, als auch die sie begleitende Diskussion begann, die Werte des Modernismus infrage zu stellen. Die Planer bemühten sich um einen Dialog mit dem im Westen langsam zu Ende gehenden historisierenden Postmodernismus, indem sie Entwürfe schufen, die etwa in den Kategorien eines eigenen Regionalismus gefasst werden können. Den stärksten Impuls bildete zweifelsohne der breit angelegte, von Danziger Architekten geplante Umbau der Altstadt im benachbarten Elbing, Elbląg, in Anlehnung an historische Stilelemente. Vielleicht ist in diesem Bemühen, einen Dialog mit dem westlichen Postmodernismus zu führen, eine Analogie zum modernistischen Boom in der Architektur nach 1956 entdecken; also einen weiteren Versuch zu sehen, die infolge der Krise der 1980er-Jahre verlorene Zeit aufzuholen. Neben derartigen Anknüpfungsversuchen sind in den letzten Jahren viele Gebäude entstanden, deren ostentativer Traditionalismus sich einzig aus konjunkturellen oder rein kommerziellen Motiven ergibt. Besonders krasse Beispiele dieser Art liefert Zoppot, wo die Forderung, an die örtliche Architektur der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert anzuknüpfen, in naiver Weise wie beim Hotel „Rezydent“ umgesetzt wurde oder gar hinsichtlich der Villa „Sobieski“ als Karikatur wirkt.

In den 1990er-Jahren des 20. Jahrhundert und zu Beginn des neuen Jahrtausends hat sich eine antimodernistische Tendenz nicht nur in der architektonischen Praxis offenbart; auch von führenden Vertretern des Kulturlebens wurde das Erbe des architektonischen Modernismus stark infrage gestellt, wobei sicherlich auch der positiv bewertete Wiederaufbaus Danzigs eine wichtige Rolle spielte. Eigenartiger Ausdruck der antimodernistischen Tendenz ist auch die fast vollkommene Geringschätzung von Baudenkmälern der Architektur des 20. Jahrhunderts in der denkmalpflegerischen Praxis beider Städte.

Es zeigt sich jedoch - zumindest in Danzig - erneut Interesse an den Fragestellungen des Modernismus: Ende 2004 fand an der Technischen Hochschule Danzig eine den modernistischen öffentlichen Gebäude gewidmete Konferenz statt. Studenten der Kunstgeschichte an der Danziger Universität greifen in ihren Arbeiten zunehmend mit der modernen Architektur in der Dreistadt verbundene auf. Essentiell aber ist, dass Entwürfe neuer Bauwerke, auch in der Nachbarschaft denkmalgeschützter Architektur, wieder moderne Formen anzunehmen beginnen. Spektakulärstes Beispiel ist der Gewinnerentwurf des Wettbewerbs für das Gebäude des so genannten Shakespeare-Theaters.

Sicherlich ist es noch zu früh zu entscheiden, in welche Richtung sich die Architektur in Danzig und Zoppot entwickelt. Sicherlich ist das Problem der Modernität im Begriff, erneut eine wichtige Rolle sowohl in der Diskussion als auch in der architektonischen Praxis beider Städte einzunehmen.

1 M. Walicki, Kiedy po miastach stały ratusze (Als in den Städten Rathäuser standen), Skarpa Warszawska“ 1945, Nr. 1, S. 5-6. Am Rande dieser Polemik muss man anmerken, dass Osmańczyk ein halbes Jahrhundert später seinem Opponenten Recht gab und schrieb: „Selbstverständlich hatte Walicki hundertprozentig Recht und nicht ich ...“, E. Osmańczyk, Był rok 1945... (Es war das Jahr 1945 ...), Warschau 1970, S. 142 (zitiert nach: B. Rymaszewski, Klucze ochrony zabytków w Polsce (Schlüssel für den Denkmalschutz in Polen), Warschau 1992, S.171).

2 H. Tetzlaff, Czy i gdzie Gdańsk powinien być odbudowany? (Ob und wo Danzig wieder aufgebaut werden sollte), „Dziennik Bałtycki“, Nr. 202 vom 25. Juli 1947, S. 3.

3 Ebd.

4 J. Borowski, Zabytkowy Gdańsk w odbudowie (Historisches Danzig im Wiederaufbau), „Technika Morza i Wybrzeża“, Jg. III: 1948, Nr. 11/12, S. 32.

5 S. Lier, Konkurs na projekt urbanistyczno-architektoniczny fragmentu śródmieścia Gdańska (Wettbewerb hinsichtlich eines urbanistisch-architektonischen Entwurfs für ein Fragment der Innenstadt Danzigs), „Architektura“, 1954, Nr. 7-8

6 B. Szmidt, Na drodze przemian (Auf dem Wege von Veränderungen), „Przegląd Kulturalny“, 1953, Nr. 51-52, zitiert nach: E. Goldzamt, Architektura zespołów śródmiejskich i problemy dziedzictwa (Architektur innenstädtischer Komplexe und Probleme des Kulturerbes), Warschau 1956, S. 526.

7 W. Czerny, Odbudowa Gdańska (Der Wiederaufbau Danzigs), S. 24; andere Teile der Ausführungen Czernys könnten suggerieren, dass sich die Aussage über den „pseudomodernistischen Kitsch“ auf die Vorkriegsbebauung der Stadt Gdingen (poln. Gdynia) bezogen hat.

8Budujmy miasta dla naszych potrzeb i naszej wygody (Bauen wir Städte für unsere Bedürfnisse und unsere Bequemlichkeit), „Dziennik Bałtycki“, Nr. 91 vom 17. April 1956, S.4.

9 XIX Sesja Rady Kultury i Sztuki. Każdy artysta ma prawo własnego widzenia rzeczywistości (19. Sitzung des Kultur- und Kunstrats. Jeder Künstler hat das Recht auf seine eigene Sicht der Dinge), „Głos Wybrzeża“, Nr. 74 vom 27. März 1956, S. 1.

10 L. Kadłubowski, W nowych warunkach musimy stworzyć nowe formy architektury. Na pytanie „co dalej?“ nie można odpowiedzieć bez pasji twórczej (Unter neuen Bedingungen müssen wir neue Architekturformen schaffen. Die Frage „wie weiter?“ kann man nicht ohne schöpferische Leidenschaft beantworten), „Dziennik Bałtycki“, Nr. 282 vom 26. November 1955, S. 2.

11 (A.P.) Pałac meblowy stanie przy Targu Węglowym (Möbelpalast entsteht am Kohlenmarkt), „Głos Wybrzeża“, Nr. 309 vom 27. und 28. Dezember 1958, S. 4.

12 S. Ostrowski, Na osi Heweliusza czyli gdański skok w nowoczesność (Auf der Hevelius-Achse, d.h. der Danziger Sprung in die Modernität), „Głos Wybrzeża“, Nr. 306 vom 24., 25., 26. Dezember 1958, S. 3.

13 P. Restany, Notes de voyage, „Cimaise“, Januar 1961, S.78-80; zitiert nach: D. Crowley, Building the World Anew: Design in Stalinist and Post-Stalinist Poland, „Journal of Design History“, Band. 7: 1994, Nr. 3, S. 187.

Thema:
Traumstädte, Geisterorte

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