Für Günter!

Stefanie Peter, Künstlerische Leiterin von Büro Kopernikus, und Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, geben Einblicke in das Geheimnis der Initialzündung Underground: wie der sich immer wieder neu erfindet und so unendlich spannend bleibt.

Bei der Gründung 2002 wünschte sich der Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, dass die Kulturstiftung des Bundes komplementär zu dem arbeiten solle, was bereits existiert.
Es gehe nicht um neue Formen des Event-Business, sondern darum, internationale Diskussionen nach Deutschland zu holen. Inwieweit erfüllt Büro Kopernikus diese Vorgaben der Politik?


Hortensia Völckers: Wenn eine Stiftung neu gegründet wird, gibt es die faszinierende Möglichkeit, Aufgaben und Ziele der zukünftigen Arbeit das erste Mal zu definieren. Zweck der Kulturstiftung des Bundes ist es, innovative Programme und Kulturprojekte in einem internationalen Kontext zu fördern; ein Schwerpunkt ist dabei Mittel- und Osteuropa. Natürlich kann es nicht allein unsere Aufgabe sein, deutsche Kultur im Ausland zu präsentieren, wie es seit Jahrzehnten die Goethe-Institute erfolgreich tun. Es geht der Kulturstiftung des Bundes vielmehr darum, für einen bestimmten Zeitraum andere Formen des kulturellen Austausches zwischen Ländern zu erproben. Büro Kopernikus hat viele deutsche Kulturorganisationen und Kulturschaffende zum ersten Mal mit polnischen Kollegen zusammengebracht, um gemeinsam künstlerisch zu arbeiten. Dieser Ansatz ist neu, und wir hoffen natürlich, dass das Büro Kopernikus einen Prozess angestoßen hat, aus dem sich längerfristige Arbeitsbeziehungen zwischen polnischen und deutschen Kulturschaffenden entwickeln.

Stefanie Peter: Zwischen Deutschland und Polen besteht im Grunde seit den 1960er-Jahren ein kultureller Austausch, der auch angesichts der bedrückenden Geschichte zwischen den beiden Staaten große Verdienste hat. Es gibt Besuchsprogramme für Schüler, Stipendien für polnische Künstler, Gastspielreisen deutscher Orchester. Dabei wird die polnische Kultur in Deutschland immer noch vor allem durch die Brille der Vergangenheit wahrgenommen.

Und was zeigt der Blick durch diese Brille?

Stefanie Peter: Naja, im Wesentlichen polnischen Jazz, Plakatkunst, Literatur, dann und wann eine Kieślowski-Retrospektive. Das Angebot an zeitgenössischer Kultur aus Polen ist zwar da, wird aber vom deutschen Publikum noch nicht gut genug angenommen. Eine Ausnahme ist sicher Berlin, aber in anderen deutschen Städten hat Polen noch keinen besonders hohen Stellenwert. Außerdem sind die deutsch-polnischen Kulturkontakte fast ausschließlich auf Warschau fokussiert, was außerhalb davon passiert, wird kaum beachtet. Polen ist ein zentralistisches Land. Wir haben uns daher gedacht: Lasst uns etwas anderes probieren. Unser Ziel war es, genau die Kulturproduzenten in der Provinz, in Danzig oder Bytom, zu finden, die unter dem Radar des hochoffiziellen Kulturaustauschs agieren. Menschen, die andere Visionen und Utopien in die künstlerische Praxis einschleusen, neue ästhetische Ausdrucksformen suchen.

Wie sind die künstlerischen Projekte überhaupt entstanden?

Stefanie Peter: Ganz wichtig für unsere Arbeit war, dass wir uns auf ein Expertengremium aus deutschen und polnischen Vertretern unterschiedlicher Kultursparten stützen konnten, das die Kulturstiftung des Bundes eingesetzt hatte. Dieses Gremium formulierte Perspektiven des deutsch-polnischen Kulturaustausches und schlug Projekte vor, die dann vom Büro Kopernikus weiterentwickelt wurden. Schwerpunkte waren zum Beispiel die zeitgenössische Bildende Kunst oder die Kultur der elektronischen Medien, die sich in Polen in den vergangenen Jahren sehr dynamisch entwickelt haben. Es gab viele Reisen und intensive Recherchen vor Ort, um Antworten auf Fragen zu finden wie: Welches Kunstinstitut X in Deutschland könnte mit dem Kunstverein Y in Polen zusammenarbeiten? Welche Künstler wären für unsere Arbeit interessant? Es ging darum, die Strukturen der jeweiligen Institute kennen zu lernen, einzelne Künstler mit konkreten Projekten zu vernetzen. Das Wichtigste war immer, dass das Programm von Polen und Deutschen gemeinsam entwickelt wird.

Hortensia Völckers: Dieser Prozess ist richtungsweisend für die Arbeitsweise der Kulturstiftung des Bundes. Es ist eben nicht so, dass wir einfach ein Programm aus dem Ärmel schütteln, das wir irgendwie mit Kuratoren ausgesucht haben. Wir sind vielmehr Impulsgeber und Vermittler eines kulturellen Prozesses. Wenn unser Stiftungsrat sich entschließt, mit Polen zusammenarbeiten zu wollen, dann suchen wir eine Gruppe von Experten, die gemeinsam mit der künstlerischen Leitung das Programm erarbeitet. Wir begleiten das Zusammenspiel, dirigieren es aber nicht. Darin liegt viel Arbeit, aber das ermöglicht die Freiräume, in denen Künstler arbeiten können. Das ist schon etwas ganz Besonderes: Die Kulturstiftung des Bundes ist eine staatsnahe, repräsentative Institution, die gleichzeitig so nah wie möglich an der Kunst ist.

Büro Kopernikus setzt bewusst auf den Dialog zwischen deutschen und polnischen Kulturschaffenden. Wie wurde das Angebot untereinander angenommen?

Stefanie Peter: Zunächst muss ich sagen, dass die Jahre von Büro Kopernikus gleichzeitig Kulminationsjahre in den deutsch-polnischen Beziehungen waren: Es gab den EU-Beitritt Polens und das Deutsch-Polnische Jahr, der polnische Papst starb, sein Nachfolger ist ein Deutscher, die Diskussionen um die Vertriebenenausstellung in Berlin, die so genannte Kartoffelaffäre, das Geständnis von Günter Grass. Solche Ereignisse und Debatten strahlen auch auf das kulturelle Feld ab, wurden in unseren Projekten aufgegriffen und kommentiert. Natürlich können wir mittels Kulturarbeit die Deutsch-Polnischen Verrenkungen nicht lösen. Aber eins ist uns ganz sicher gelungen: Über unsere Arbeit hat die deutsche Kulturindustrie Polen oft zum ersten Mal in den Blick genommen, das gilt auch für große deutsche Theater oder Ausstellungsinstitutionen.

Das spricht nicht gerade für die Neugier deutscher Kulturschaffender auf ihr Nachbarland?

Stefanie Peter: Sicher schauen viele Kulturschaffende immer nur Richtung Westen, da könnte sich der eine oder andere schon mal umdrehen. Nur muss man auch sehen, dass das kulturelle Konkurrenzangebot in Deutschland sehr groß ist und das Publikum auf Ausstellungen und Gastspiele aus Osteuropa reserviert reagiert. Wir haben daher bewusst die Arbeitsbeziehungen zwischen den Kultureinrichtungen in den Vordergrund gestellt. Wenn die Zusammenarbeit intensiviert wird, es mehr gemeinsame Projekte gibt, wird es auch mit der Rezeption in Deutschland besser.

Hortensia Völckers: Da hat Büro Kopernikus sicherlich Pionierarbeit geleistet. „Der Osten“ weiß ziemlich genau Bescheid, welche Künstler bei uns im Augenblick wichtig sind, welche Produktionen Erfolge feiern. Im „Westen“ ist das noch anders; viele sind noch nicht bereit zu sehen, welch` interessante Arbeiten aus dem Osten kommen. Hinzu kommt, dass die Kunst sich sehr stark nach dem Kapital ausrichtet – und in Osteuropa, außer in Russland, gibt es kaum große Sammler. Das Theater hat es wiederum schwer, weil es in Osteuropa eben eine ganz andere Ästhetik gibt, auf die muss sich das Publikum einlassen wollen.

Stefanie Peter: Das Defizit in der Wahrnehmung liegt schließlich sicher auch daran, dass in Deutschland die Vergangenheit im Verhältnis zu Polen zwangsläufig immer ein großes Thema ist. Dabei geraten das aktuelle polnische Kulturleben und die rasante gesellschaftliche Entwicklung leider aus dem Blick. Wir haben uns deshalb recht bald entschlossen, ein außergewöhnliches Polen-Glossar zu erarbeiten, das der deutschen Leserschaft das Polen von heute näher bringen soll: von A wie Adel bis zu Z wie Zwillinge.

Wie groß war das Interesse an den Projekten in Polen?

Stefanie Peter: Viele Veranstaltungen haben ein sensationelles Publikumsinteresse gefunden. In kleinen Provinzzeitungen wie auch in den wichtigsten überregionalen Magazinen und Zeitungen gab es zahlreiche Berichte und Besprechungen. Das ist bemerkenswert, denn die Projekte fanden meist an den Nebenstrecken des Berlin-Warszawa-Express statt. In Danzig haben wir zum Beispiel ein architekturgeschichtliches Projekt namens „Unwanted Heritage“ realisiert, das gegen das verbreitete Hansestadt-Image vorging, indem es sich mit der vergessenen Moderne der Stadt auseinander setzte. „Radio-Copernicus“ sendete im Jahr 2005 abwechselnd aus deutschen und polnischen Städten wie Stralsund oder Wrocław – grenzüberschreitend in deutscher, polnischer und englischer Sprache. Büro Kopernikus hat auch eine Ausstellung über die Oder-Region, Workshops zum zeitgenössischen Tanz oder zur elektronischen Musik veranstaltet.

Ein Workshop zur elektronischen Musik: Passt der nicht besser auf den Dancefloor?

Stefanie Peter: Darauf lief es hinaus, und zwar in Bytom, dem früheren Beuthen, im ehemaligen Industrierevier Oberschlesien. Dort gibt es eine faszinierende Elektromusikszene, die unseren „Elektropopklub“ begeistert feierte. Außerdem aber kämpft Bytom mit den Hinterlassenschaften des Industriezeitalters. Deutsche Partner konnten kritisch ihre Erfahrungen aus dem Ruhrgebiet einbringen, wo inzwischen fast jede stillgelegte Zeche kulturell bespielt wird. Die Zusammenarbeit mit deutschen Kulturinstitutionen hat den jungen polnischen Kunsteinrichtungen viel gebracht. Andererseits: Vom neuen Typus der unabhängigen und nichtstaatlichen Initiativen, der die polnische Kulturlandschaft prägt, (der Versorgungsstaat, der bei uns noch relativ gut funktioniert, wurde ja in Polen auf einen Schlag abgeschafft), können wir Deutsche sicher eine ganze Menge lernen. Deshalb ist es schön zu sehen, dass einzelne Projekte Wurzeln geschlagen haben. Manche Kooperationen haben sich zu tragfähigen Beziehungen entwickelt.

Hortensia Völckers: Das ist uns besonders wichtig: Wir wollten mit Büro Kopernikus längerfristige Arbeitsbeziehungen im Feld der deutsch-polnischen Kultur aufbauen, aus Ideen und ersten Impulsen sollten Konzepte und tragfähige Kooperationen entstehen. Unser Ziel war es, eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Kulturinstituten anzuregen, die auch ohne die Begleitung von Büro Kopernikus weiter bestehen wird. In der Form des Kulturaustausches, für die Büro Kopernikus steht, liegt das Risiko, dass es die Projekte nicht schaffen, in die Institutionen hineinzuwachsen. Wir geben die Gelder nicht einfach nur einem deutschen Theater oder einem polnischen Kunstverein; wir unterstützen Kulturleute und Künstler, die dann entscheiden sollen, wer sich wie begegnen soll. Das ist ein Stück weit ein Wunder, dass man so arbeiten kann.

Ein Wunder?

Hortensia Völckers: Richtig. Denn nicht nur in Osteuropa verstehen viele Partner nicht, dass wir mit deutschen Steuermitteln zum Beispiel in Polen Projekte von Polen und Deutschen machen. Projekte, die nicht einfach die deutsche Kultur auf eine Bühne stellen, sondern in Form einer offenen Versuchsanordnung Neugier auf den Nachbarn wecken und in die Zukunft schauen wollen. Man muss das so sehen: Das ist eine unglaublich großzügige, aber auch unglaublich moderne Haltung des deutschen Staates. Denn wir erfahren im Dialog mit dem Nachbarn auch viel über uns.

Stefanie Peter: Und im Fall von Büro Kopernikus denke ich, dass wir diesem Dialog ein gutes Stück Zukunft mitgegeben haben. Es ging uns von Anfang an darum, der jungen Generation von Kulturleuten in Polen, die in den 1980er-Jahren geboren wurden und für die der Kalte Krieg und die Solidarność-Zeit Geschichte sind, ein Forum zu bieten. Diese Künstler denken längst international, sie sind bestens informiert über die neuesten Kunstszenen, sprechen gut Englisch oder Deutsch. Insofern haben die Themen, die in den deutsch-polnischen Projekten gemeinsam formuliert wurden, oft eine gesamteuropäische Perspektive. Diese Künstler leben in der Gegenwart, spielen mit der Zukunft, sie haben keine Lust mehr, sich immer noch an der Vergangenheit abzuarbeiten. Bezeichnend ist, dass die Grass-Debatte nicht nur bei uns, sondern auch in Polen vor allem von einer älteren Generation geführt wurde. Ein junger Künstler aus Danzig hat die Komposition „100 Kilogramm Kartoffeln. Für Schlagzeug und Tonband. Für Günter“ geschrieben. Ihr Titel ist eine Widmung an Günter Grass. Dieser ironische Umgang mit aktuellen Themen ist bezeichnend für einen neuen Ton in der polnischen Kultur. Und während wir beobachten, wie eine junge Generation ihre eigenen Formen findet, sind wir uns sicher: Es handelt sich um zeitgenössische Kunst.

Die Fragen stellte Tobias Asmuth, freier Journalist und Politik-Redakteur bei fluter.de.
Büro Kopernikus war in den Jahren 2004 bis 2006 eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes

Deutsch-Polnische Excursionen
Stefanie Peter, künstlerische Leiterin von Büro Kopernikus im Gespräch mit Ewa Strozczynska-Wille