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Industriestadtfuturismus – 100 Jahre Wolfsburg/Nowa Huta

[ Projektteil Wolfsburg ]
Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg
10. Dezember 2005 - 19. Februar 2006
Teilnehmende Künstler: Daniel Banaczek (Krakau), Neil Cummings & Marysia Lewandowska (London), Rafał Jakubowicz (Posen), Folke Köbberling (Berlin), Pia Lanzinger (Berlin), LPG Cottbus, Modulorbeat (Münster/Westfalen), Raumlabor (Berlin), Silke Riechert (Dresden), Robert Rumas (Danzig), Janek Simon (Warschau), Łukasz Stanek (London/Delft)

Im Rahmen von „Industriestadtfuturismus - 100 Jahre Wolfsburg/Nowa Huta“ diskutieren über einen längeren Zeitraum deutsche und polnische Künstler zusammen mit Experten aus beiden Ländern und Bewohnern beider Städte über Visionen zukünftiger Arbeitswelten und Gesellschaftsformen und entwickeln künstlerische Arbeiten dazu. Im ersten Teil des Projekts werden die Ergebnisse in einer Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg gezeigt, die von einem öffentlichen Symposium begeleitet wurde.

Die Künstler und ihre Projekte

Nowa Huta wurde wegen eines Stahlwerks geplant und erbaut. Heutzutage beschäftigt das Werk nur noch einen Bruchteil der früheren Anzahl an Beschäftigten. Somit hat sich die Bedeutung der Stadt völlig verändert. Größter Arbeitgeber ist nun der lokale Markt. Das Verhältnis zwischen der Stadt Wolfsburg und dem Volkswagenkonzern hat ähnliche Wurzeln. Wird die zukünftige Entwicklung ähnlich sein? Wenn die Deindustialisierung in Europa weiter voranschreitet und Volkswagen seine Produktion in andere Länder verlegt, werden offizielle und informelle Märkte dann auch das Stadtbild von Wolfsburg bestimmen? Diese Fragestellung verfolgen Neil Cummings & Marysia Lewandowska in Video und Fotografie.

Der Absatzmarkt für Volkswagen in China ist um ein vielfaches lukrativer als in Europa. 2005 liegt der dortige Verkaufsanteil von VW bei 29% und der Konzern ist mit zwei Joint Ventures in China vertreten. Hierauf basiert die Arbeit von Folke Köbberling:
Wir schreiben das Jahr 2039. Wolfsburg gibt es in Deutschland nicht mehr. Allein seine wichtigsten Gebäude, sowie das gesamte Volkswagengelände wurden in der Region Chunguan in China als Themenpark wieder aufgebaut. An den Ursprungsort des Konzerns erinnert allein ein Kilometerstein. Ein Banner in chinesischen Lettern mit einem Bild von Wolfsburg kündigt die Eröffnung des Themenparks in China zum 100. Jahrestag der Gründung in Deutschland an.

Welche Zukunft hat die Stadt noch? Wie kann aus vorhandener Substanz überhaupt noch etwas Neues entwickelt werden? Werden wir in leeren verstaubten Museenstädten leben und nicht wissen wohin vor lauter Platz? Wer kontrolliert und formt diese Räume der Zukunft, wenn die Kontrolle über Raum nicht mehr notwendig ist um global ökonomisch zu agieren und kontrollierte Räume auf Transitkorridore und Hypercity-Inseln zusammengeschmolzen sind? Robin Hood?
In diesen Räumen ist der vom Raumlabor entwickelte Stadtfresser unterwegs. Er entreißt die alte Stadt- und Siedlungssubstanz dem Boden, schlürft sie genüsslich ein und unterwirft sie einem radikalen Umbauprozess (der sich uneinsehbar im inneren der gigantischen, kolossalen Maschine verbirgt). Hinten aus der maschine wird eine neuartige Substanz entlassen. Eine Art neugewonnener zivilisatorischer Urschleim verlässt den Koloss. Aus ihm können neue Siedlungen und Städte entstehen.

Welche Folgen hätte eine zukünftige Katastrophe oder ökonomische Krise, in deren Folge „die Welt, so wie wir sie heute kennen“ (Wallerstein) nicht mehr existiert? Die Selbstversorgung in den Städten würde an Bedeutung gewinnen, behauptet der Künstler Janek Simon. Angeregt von Alison Sterlings Vortrag über informelle Ökonomien in Nowa Huta während des dortigen Workshops imaginiert er Wolfsburg ohne Volkswagen und den daraus folgenden Rückgriff auf vormoderne Produktionsmittel. Für seine Arbeit „Edible Wild Plants of Lower Saxony“ sammelt er praktisches Wissen über essbare Wildpflanzen in Niedersachsen. Dieses Wissen gibt er im Kunstverein Wolfsburg weiter. Er referiert, kocht und präsentiert seine Ergebnisse in der Ausstellung.

Ingo Vetter erarbeitet mit Studierenden der Brandenburgischen TU Cottbus den Festtagsumzug zur 100-Jahr-Feier. Sie schmücken die Innenstadt rund um das Kino Imperial für die Feierlichkeiten. Der Modellwagenzug steht in der Ausstellung im Wolfsburger Kunstverein. Zehn bis fünfzehn Wagen veranschaulichen einzelne Aspekte möglicher Zukünfte im Futur Perfekt. „Die Simulation von Autoproduktion im VW-Werk“, „50 Jahre Städtepartnerschaft Wolfsburg-Nowa Huta“ oder „100 Jahre Fußgängerzone“ sind mögliche Themen.

Modulorbeat erforschen die Geschichte und mögliche Zukunft beider Städte in Gesprächen mit ihren BewohnerInnen. In der Ausstellung werden sie Interviewausschnitte multimedial präsentieren.

Silke Riechert thematisiert in „Detroit Blues“ das Glückversprechen der modernen Industriegesellschaft. Die Arbeit nimmt die Ausstellung zum Anlass, verschiedene Themenkomplexe des Fordismus zu reflektieren. Massenproduktion und Massenwohnformen sollten den Aufbruch in eine neue Zeit symbolisieren. Technologische Machbarkeit und Reichtum durch hohe Absatzzahlen verbreiteten die Vision von Demokratie und Freiheit. Was passiert jedoch mit den Versprechen der Moderne in Zeiten verratener Utopien?
Silke Riechert wird eine futuristische, postindustrielle Modelllandschaft bauen, in der sie die Reste der Versprechen von Moderne und Fordismus darstellen wird. Der Landschaftsskulptur wird sie Bilder, Texte, Slogans und kleine Filme beifügen und sie zu einem komplexen Szenario verdichten. Die Arbeit funktioniert als Archiv, das die Sichtweise auf die Phänomene der Industriegesellschaft von AutorInnen, FotografInnen und KünstlerInnen sammelt. Der Blick richtet sich auch nach vorne zu neuen experimentellen Ideen von sozialem Raum und informellen Ökonomien.


Industriestadtfuturismus
Öffentliches Symposium
10. Dezember 2005
Kunstverein Wolfsburg
Referenten: Ewa Charkiewicz, Jacek Dominiczak, Albrecht Göschel, Ulfert Herlyn/Wulf Tessin, Rolf Kreibich, Arno Paulus, Jarosław Urbański

Während des Eröffnungswochenendes bildet die Ausstellung den inhaltlichen und räumlichen Rahmen für ein internationales Symposium. Experten aus den Bereichen Architektur, Soziologie, Stadt- und Zukunftsforschung halten Vorträge und es finden Diskussionen mit den anwesenden Künstlern statt.
Veranstaltungsorte
Kunstverein Wolfsburg
Łaźnia Nowa, Krakau-Nowa Huta
Termine
Wolfsburg: 10. Dez. 2005 – 19. Feb. 2006
Nowa Huta: 14. Okt. – 12. Nov. 2006
Beteiligte Institutionen
Kunstverein Wolfsburg
Łaźnia Nowa, Krakau-Nowa Huta
Goethe-Institut Krakau